Neue Regelung in der Rentenreform

Widerspruch gegen zu geringe Rente

Rechtswidrigkeiten künftig kein Vorteil mehr für alle Betroffenen

Rentenempfänger hatten bislang das Glück, automatisch in den Genuss von Nachzahlungen zu gelangen, wenn das Bundessozialgericht entscheidet, dass die Rentenversicherung mit Gesetzen rechtswidrig umgeht.
Dies soll sich zum ersten Mai ändern, so der Entwurf, dem die Regierung noch in dieser Woche zustimmen wird.
Das strittige Gesetz verbirgt sich in der Rentenreform.

Experten schimpfen diese Regelung einen Freibrief zu rechtswidrigem Verhalten, da sie die Rechte der Rentner unterwandert.
Momentan findet sich im Sozialrecht die Bestimmung, nachteilige Rechtswidrigkeiten aufzuheben: § 44 SGB X.
Empfing man aufgrund eines illegalen Bescheids nicht genug Geld, so wird das fehlende Geld für einen rückwirkenden Zeitraum von bis zu vier Jahren im Nachhinein gezahlt.
Dieser Grundsatz tritt auch in Kraft, wenn die Bundessozialrichter auf die falsche Verwaltung in einem völlig unterschiedlichen Gerichtsfall aufmerksam werden. Sämtliche Parallelfälle empfangen dann die Zahlungen, auch wenn die glücklichen Empfänger nicht einmal von dem Verfahren wussten.

Bei der Rentenversicherung plant die Regierung eine Einschränkung wie bei der Arbeitslosenversicherung: Ein für den Versicherten erfreuliches Urteil des Bundessozialgerichts, bringt den anderen Betroffenen nur künftige Vorteile, keine rückwirkenden.
§ 100 IV SGB VI

Nachzahlungen empfangen künftig nur der Kläger sowie alle, die Widerspruch gegen ihre Rente anmeldeten.
Dies lässt die Rentner vermutlich schon bald zu Widerspruchsklagen strömen.

Diese Regelung ist nicht wirklich neu, denn bei Recht und Gesetz hat man meist selbst in die Gänge zu kommen, um den ganzen Gewinn aus den Urteilen zu ziehen.
Klage gegen den Rentenbescheid war bislang immer dann vonnöten, wenn die Bundesverfassungsrichter in einem Musterverfahren urteilten, d.h. wenn der Streitfall nicht die Auslegung einer Norm, sondern die Verfassungswidrigkeit betraf.
Nannten die Verfassungsrichter einen Paragraph ungültig, so kam dies nur denjenigen zugute, die wenigstens Widerspruch angemeldet hatten. § 79 BVerfGG

Rentenempfänger, die jede rückwirkende Zahlung nutzen möchten, legen in Zukunft vermehrt Widerspruch ein.
Diese Widersprüche sind kostenlos. In den meisten Fällen bleibt der Prozess im Stillstand, bis das Urteil zu Musterverfahren bekannt wird.

Kritiker nehmen an, dass ein Fall des vergangenen Jahres vor dem Bundessozialgericht den neuen Gesetzesentwurf ins Rollen brachte.
Im Mai urteilte der vierte Senat: Bei Erwerbsminderungsrentner unter sechzig dürfen keine Abschläge gemacht werden.

Dies kam bislang nur der Klägerin zugute. In Zukunft empfängt sie monatlich zusätzliche siebzig Euro sowie eine einmalige Zahlung von 2500 Euro.
Bundesweit wohnen fast eine Million Erwerbsminderungsrentner unter sechzig, die Abschläge in Höhe von teilweise elf Prozent haben.
Dieses Urteil könnte der Rentenversicherung eine Milliarde Euro nachträgliche Kosten und künftige Jahresausgaben von 500 000 Euro einbringen.

Verständlich, dass die Rentenversicherung gegen den Entschluss des Bundessozialgerichts vorgeht.
Durch neue Musterverfahren hoffen die Beteiligten, die drei Senate, die sich um Rentenrecht kümmern, durcheinanderzubringen, so dass Großen Senat die Auseinandersetzungen zwischen den Richtern zu entscheiden hätte.
Mit ein wenig Glück hätten die Abschläge für Erwerbsminderungsrentner unter sechzig auch weiterhin gültig.
Viele Experten schließen sich der Rentenversicherung an und sehen das Urteil des vierten Senats ebenfalls als falsch an.

Noch ist der Ausgang des Streits ungewiss, weshalb der Sozialverband den jungen Erwerbsminderungsrentnern eine Prüfung der Rente anrät.
Nur Anträge bis zum dreißigsten April lassen auf rückwirkende Zahlungen hoffen, denn ab dem ersten Mai erhält das neue Gesetz Gültigkeit.